Brasilien, Südamerika
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Dschungelfieber

Der Start in den Dschungeltrip fing alles anderes als perfekt an, am Flughafen in Manaus wartete niemand auf uns. Kein Schild wurde hochgehalten, noch nicht mal für andere Reisende. Der Urwaldflughafen präsentierte sich in einem abenteuerlichen Zustand, von den Decken tropfte überall Wasser, kleine gelbe Hinweisschilder kennzeichneten die Eimer und bildeten einen Slalomparcour. Mehrere Anrufe später wurden wir dann doch abgeholt und per Taxi zum Marina-Hafen chauffiert, wo ein schmales Holzboot auf uns wartete und wir vom Rio Negro in einen der Nebenarme abbogen. Der Amazonas führt gerade Niedrigwasser, in einer Woche beginnt die Regenzeit und dann steigt das Wasser täglich von 5-10cm pro Tag bis auf insgesamt 11-14 Metern über dem jetzigen Pegel.
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Nach 30min landen wir dann an, am matschigen Ufer, kein Steg oder eine Plattform. Der junge Bootsfahrer schultert elegant unsere beiden Rucksäcke (30kg), gibt uns zu verstehen zu folgen und führt am Ufer unsere kleine Expedition an, wir überqueren einen Flussarm auf einer improvisierten wackligen Brücke, biegen dann in den Wald ab, immer weiter bergauf. Die Hitze, vor allem aber die hohe Luftfeuchtigkeit drückt, der Schweiß fließt.

Unsere Ecolodge scheint wirklich weit weg zu sein, im Dschungel, keine anderen Leute, nur wir. Wir sind gespannt, was uns erwartet. Dann wird der Weg fester, sogar gepflastert. Kleine Häuser stehen am Wegesrand, dann erreichen wir die Rezeptionshalle, uns trifft der Schlag. Massen von Touristen stehen hier, es ist laut, ein riesiges Durcheinander. Die Begrüssung ist frostig, kein Hallo, sondern nur ein „Go there – Talk to your Guide“. Unser Führer mag uns erst gar nicht haben, probiert uns wieder an die Rezeption zu übergeben, aber wir sind Zacharias nun mal zu geordnet und er akzeptiert uns schließlich mürrisch und widerwillig.

Hat uns schon irgendeine Mücke gestochen? Haben wir schon Dschungelfieber? Irgendwie haben wir was anderes erwartet, keinen Massentourismus, sondern was mehr ecological. Wir sind nun eine Expeditionsgruppe von 14 Personen bestehend aus der Thomas Cook Reisegruppe „große Brasilientour“ (12 Tage, 3.500€ p.P.) mit einem schweigenden ängstlichen Ösi-Ehepaar, den Ravensburger Peter mit Frau, den Ossis Jens und Antje sowie dem Oberbayer Tobias, dazu kommen die Individualreisenden: die von uns getauften Russen, bei denen wir bis zum Schluss nicht rausbekommen haben, ob sie nun aus Lettland oder Litauen kommen, der reizenden Rentnerin Eileen aus Colorado und den beiden witzigen Kölnern Micha und Melanie. Acha ja und wir sind natürlich auch dabei.

Während Zacharias uns erklärt, was uns die nächsten Tage erwartet, beobachte ich die Reisegruppe aus Israel, die 10m von uns entfernt, das Kuchenbüffet laut schreiend stürmt und mit Körpereinsatz vernichtet. Ich muss die Eindrücke hier erstmal verarbeiten. Mir kommt es vor, wie wenn man ein Mozartklassikkonzert gebucht hat und auf einmal bei ACDC ist. Zacharias merkt meine Abwesenheit und holt mich zurück aus meinen Gedanken. In seinem Schweizer Akzent erklärt er uns seine Strategie: Also ich nehm immer mein Säckel mit, da hab ich immer Sonnencreme, Mückenschutzmittel, meine Regenjacke und mindestens eine Flasche Wasser dabei. He. Jeden seiner deutschen oder englischen Sätze beendet er mit einem he, einem nach oben ansteigendem Laut, der einem Ne nahe kommt und wohl verstanden signalisieren soll. Ganze dreißig Minuten lässt er uns Zeit unser Appartment zu beziehen, uns umzuziehen und das Säckel zu packen. Wir schaffen es gerade so, fast alle sind am vereinbarten Ort, nur Melanie und Micha fehlen. Zacharias wird ganz nervös, läuft im Kreis, das Schweizer Uhrwerk ist aus dem Takt gekommen. Wir warten, nippen schon mal an der Wasserflasche. Die beiden Rheinländer bleiben verschollen. Der Guide fackelt nicht lange und holt das junge Pärchen schliesslich persönlich ab und gibt ne kurze Ansage, wer hier der Chef im Ring ist. Gemeinsam taufen wir ihn schliesslich ZakZak.

Die ersten Ereignisse schweißen uns vier zusammen, hier im Dschungel heißt es zusammen stark sein, um zu überleben. Vor allem gegen die Pauschaltouristen. Aber es ist keine Zweckgemeinschaft, wir verstehen uns auf Anhieb. Der erste Ausflug ist ein kleiner. Nach einem kurzen Marsch durch den Wald und entlang des Ufers erreichen wir eine Lichtung, wo wir viele freilebende Affen beobachten können, insgesamt drei Spezies, besonders elegant war die rote Affendame, die sich am Früchtebuffet erst nach und nach labte, sie erinnert uns an die toughe Seniorin Eileen, die allein durch Südamerika reist und Teil unserer Expeditionstruppe ist.

Wenn sich jeder so elegant am Abendbuffet benommen hätte wie die Rotaffin wären wir nicht so schockiert gewesen, die Reisegruppen vor allem die Israelis und Rumänen drängeln sich aber mit Arm- und Ellbogeneinsatz am Buffet, es geht zu wie bei der Raubtierfütterung. Es ist aber genügend Essen vorhanden, kein Grund in eine Massenpanik zu verfallen. Gerne wird auch mit Händen vom Buffet gegessen oder der Servierlöffel direkt in den Mund gesteckt und zurück in die Schale. Lecker.

Bei der Bootsfahrt am nächsten Morgen zum Encontro das Águas, wo die schwarzen Fluten des Rio Negro auf die weißen des Rio Solimões treffen, sich aber nicht vereinen, sondern kilometerweit nebenherfliessen aufgrund unterschiedlicher Temperatur, der Fliessgeschwindigkeit und Sedimentsdichte, sind alle Gäste der Lodge an Bord, an die 150 Personen. Die Besuche bei den Nativepeople und dem Restaurant gleichem einer Invasion von Kolonialisten.

Wir vier (Melanie, Micha, Amore und ich) nehmen es mit Humor und kommentieren fleißig das Geschehen, wir haben keine Wahl. Der dritte Tag wird zum Highlight der Expedition und lässt alles andere vergessen. Wir starten morgens mit einer Dschungeltour zu Fuß. Diesmal nur die Gruppe von ZakZak, die anderen Gruppen machen individuelle Touren, wir lernen viel über das Überleben im Urwald, welche Pflanzen wir essen können, wo wir Wasser finden, wie wir ein Nachtlager bauen können und dass Ameisen, wenn man sie in den Händen zerreibt ein ideales Mückenschutzmittel sind. Über uns fliegen Tukane und Papageien, die man mal kurz hoch oben in den Wipfeln der Bäume zu Gesicht bekommt. Zaki macht seinen Job gut, übersieht aber eine große Vogelspinne, die Amore entdeckt und eine wirklich kleine Baby-Anaconda.

Den Nachmittag starten wir wieder zu nahen Locals, die hier wohnen und ihr Leben mit Fischen, Maniok anpflanzen und Kautschuk zapfen und trocknen verbringen. Dann zieht der Himmel auf einmal zu und verdunkelt sich und strammer Regen ergießt sich über uns. Wir dürfen uns in einer Hütte unterstellen und warten erstmal den Schauer ab. Um uns herum blitzt es, der Donner ist weit entfernt, es regnet ohne Ende. Die andere Uferseite ist nicht mehr zu erkennen.

Der Plan sah eigentlich so aus, dass wir jetzt Fischen gehen und dann nach dem Sonnenuntergang Jacarés (Aligatoren) suchen wollten. ZakZak stellt uns vor die Wahl, alle zurück zur Lodge oder alles weiter nach Plan. Wir vier und Eileen sind für das volle Programm, schließlich wollen die neuen Regenjacken im Dschungel mal der Extreme ausgesetzt werden. Rentner Peter und seine Frau, die mit Sandalen und weißen Tennissocken aufgebrochen waren, haben keine Regenjacken dabei, genauso wie die Russen, trotz der Säckel – Empfehlung von ZakZak. Der Ösi hat hingegend sogar Regenhosen dabei und hat sich in sein schwarzes Ganzkörperkondom eingewickelt. Pauschaltourist Peter drängt zum Aufbruch und überzeugt Zaki. Bei heftig strömenden Regen laufen wir zum Fluss, wo aber plötzlich kein Boot mehr auf uns wartet. Jetzt warten wir eben alle draußen im Regen statt im Trockenen. Toll Peter. Wir nehmen es gelassen, die Regenjacken halten dicht. Die Geduld der Ösis, den Ravensburgern und Russen schwindet, sie entscheiden sich zu Fuß am Ufer zur Lodge zu gehen. Jens, der gerne ein weißes Frotteehandtuch über den Schultern und an seinem Gürtel keine Patronen, sondern iPhone, Messer, kleine Taschen trägt und sonst immer Angst um seine Sony Alpha Spiegelreflex hat sowie alles mit der Kamera aufnimmt, lässt sich wiederwillig von seiner Frau überreden zu bleiben.

Wir warten noch eine Weile im Regen, ZakZak strahlt, konnte er mittlerweile sein gelbes Ganzkörper-Ölzeugs als Regenschutz rausholen und den dicken Tropfen trotzen. Die Dämmerung nimmt zu und dann kommt doch noch ein Boot, welches uns schließlich zu einer Plattform bringt, wo man fischen könnte, das lassen wir aus, genießen wir doch lieber das kalte Skol-Bier und tanzen zur flotten Musik. Es ist mittlerweile richtig dunkel geworden und am Ufer blitzen die gelbreflektierenden Augen der Jacarés auf. Uns vieren geht’s gut und wir haben viel Spass. Eileen genießt es auch in vollen Zügen und bestellt Caipi um Caipi, während der Himmel immer noch alle Pforten geöffnet hat. Der Mittvieziger Jens ist den Tränen nahe, weil ihm nass und kalt ist, seine Frau Antje und der Oberbayer schäkern währenddessen rum.

Für die Rückfahrt nehmen wir noch ein paar Bierchen mit und suchen noch ein paar Jacarés. Die Seitenrollos des Bootes sind heruntergelassen, der Regen trommelt kräftig aufs Dach, wir sitzen im Trockenen während ZakZak wie der Schimmelreiter vorn im Sturm mit der Taschenlampe den Weg leuchtet und die Jacarés sucht. Diese haben sich bei dem Regen aber auch verkrochen. Wir halten die Kehlen unterdessen feucht, passend zum Regen. Das Boot hält reichlich vor der Lodge am Ufer an und wir vier und Eileen bahnen uns am matschigen Ufer einen Weg zurück. Mal bleibt ein Schuh stecken oder ein FlipFlop versinkt im Matsch. Glücklich kommen wir schliesslich bei der Lodge an, wir hatten richtig viel Spass, die Regenjacken hielten dicht, der Rest ist komplett nass und durchweicht und wir hatten im Tropenregen verdammt viel Vergnügen. Das muss mit Caipis begossen werden.

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